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81 Minuten für (Lothar) Trolle

„Tretjakow hat 1928 in der Prawda einen Aufruf an alle Kinder der Sowjetunion gerichtet, am Mittwochnachmittag um drei in ihre Hosentasche zu fassen, und rauszuholen, was da drin ist, und dann aufzuschreiben, wie das Betreffende in die Hosentasche gekommen ist. So entsteht ein richtiges Zeitbild. Also sowas heute zu erreichen, das wäre großartig.“ Lothar Trolle, 1995



In ihren Taschen graben nach Trolle-Erinnerungen, nach neuen und alten Texten des am 31. März 2025 verstorbenen Autors u. a. Corinna Harfouch, Christian Tschirner, Cristin König, Silvia Rieger, Magne Håvard Brekke u. a.

[Wir müssen träumen lernen, aus jeder Scheiße muss man sich irgendwie wegträumen lernen. Der Mensch, der mit geschlossenen Augen vorm Fernsehapparat sitzt, ja, das sind die Gefährlichsten.]

 

Der Dramatiker, Dichter, Prosa- und Hörspielautor Lothar Trolle, geboren am 22. Januar 1944 in Brücken bei Sangershausen (Harz), ist in der Nacht auf den 31. März 2025 im Alter von 81 Jahren in Berlin verstorben. Seit 2019 war er Mitglied der Sektion Literatur der Akademie der Künste.Nach dem 1963 abgelegten Abitur absolvierte Lothar Trolle zunächst eine Ausbildung als Handelskaufmann und arbeitete anschließend als Transportarbeiter und Bühnentechniker am Deutschen Theater Berlin.

Von 1966 bis 1970 folgte ein Studium der Philosophie an der Humboldt Universität zu Berlin. 1968 erschien mit Papa Mama sein erstes Stück. Ab 1970 war er freischaffender Autor von Theaterstücken, Hörspielen, erzählender Prosa und Lyrik sowie einiger Übersetzungen, unter anderem von Daniil Charms und Euripides.Im Fokus seiner oft grotesken, surrealen Texte stehen Faschismus und Widerstand, kleinbürgerliche Haltungen nahm er ebenso präzise in den Blick wie soziale Verwerfungen.

Er stand in der Tradition Bertolt Brechts und Heiner Müllers, und wie letzterer gehörte er zu einer Gruppe von Autoren, deren Stücke in der DDR erst etwa ab den späten 1980er-Jahren ein größeres Publikum fanden. In dieser Zeit, von 1983 bis 1987, war Lothar Trolle zudem Mitherausgeber der literarischen Zeitschrift MIKADO, ein Periodikum für Texte „diesseits und jenseits des Vokabulars der Macht und der Anpassung“.


Seinen Durchbruch erlebte Lothar Trolle 1992, als sein Stück Hermes in der Stadt in der Inszenierung von Frank Castorf am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde. Bereits 1991 war er der Einladung von Peter Eschberg in den Westen gefolgt und wurde Hausautor am Schauspiel Frankfurt. Später kehrte er zurück nach Berlin und war von 1994 bis 1999 Hausautor am Berliner Ensemble.

Ebenfalls bekannt für seine Prosa, war er 2007 Stadtschreiber zu Rheinsberg und wurde auch für seine Hörspiele mehrfach ausgezeichnet: Zweimal erhielt er den Kinderhörspielpreis von Terre des Hommes, 1978 und 1991, und 1998 den Hörspielpreis der Akademie der Künste. Erst kürzlich hatte Lothar Trolle seinen literarischen Vorlass dem Archiv der Akademie der Künste übergeben.

Trolle, das war sein ganzer Name, war ein Autor jenseits der Gattungen und der Anpassung überhaupt. Wie die Landschaft, aus der er kam, das Mansfeld, war seine Erscheinung, ruhig, verschlossen, aber sein Wesen wach und angekratzt. Die Erfahrung der Verwerfungen war der Rohstoff seiner so raffinierten wie unprätentiösen Stücke, die den Bühnen bleiben.

Volker Braun
(Akademie der Künste)

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