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Wohnstadt Carl Legien im Bauhaus-Stil
Wohnstadt Carl Legien, Bauhaus Berlin © Foto: Steve Simon

Wohnstadt Carl-Legien

Bruno Tauts letzter großer Wurf in Berlin

Bruno Taut beweist hier, was Städteplanung kann: Menschen trotz einer hohen Wohndichte ein Gefühl von Weite und Natur zu geben.

Bruno Tauts letzte große Siedlung

Die zwischen 1928 und 1930 enstandene Wohnstadt Carl-Legien in Berlin ist Tauts letztes großes Projekt des sozialen Wohnungsbaues in Berlin. In einem relativ kleinen Gebiet im Bezirk Pankow entstehen exakt 1.149 Wohnungen. Es sind vor allem kleine Einheiten mit anderthalb bis drei Zimmern. Deshalb leben hier kaum größere Familien, eher Alleinstehende oder Paare mit höchstens einem Kind.

Herausforderungen für einen Architekten

Ende der 1920er Jahre ist Bruno Taut eine anerkannte Größe in Berlin, er ist der künstlerisch leitende Architekt der GEHAG (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft). Berlin wächst stetig und braucht dringend neue Wohnungen, eine großartige Aufgabe für einen zukunftsorientierten Architekten.

Von sechs Siedlungen der Berliner Moderne, die 2008 zum Unesco-Welterbe ernannt werden, stammen vier von Bruno Taut: eine beeindruckende Bilanz. Damals steht der Architekt bei jedem Projekt vor anderen Herausforderungen, für die er Lösungen finden muss.

Die vor dem ersten Weltkrieg von ihm gebaute Gartenstadt Falkenberg folgt noch traditionelleren Siedlungsentwürfen mit zahlreichen Einfamilienhäusern. Danach entwirft Taut zunehmend moderner: Die Großsiedlung Britz (bekannt als Hufeisensiedlung) und die Siedlung Schillerpark sind eine zeitgemäße Antwort auf das hauptstädtische Wohnungsproblem. Rund um die eng bebaute Berliner Innenstadt probiert Bruno Taut seit Mitte der 1920er Jahre neue Wohnkonzepte aus.

Wohnstadt Carl-Legien in Berlin Pankow
Wohnstadt Carl-Legien © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Strenge Sparpolitik fordert ein Umdenken

Ende der 1920er Jahre ändern sich die Bedingungen. Es stehen weniger verfügbares Bauland und weniger Geld zur Verfügung. Die 1924 von Baurat Martin Wagner eingeführte Hauszinssteuer kann nicht mehr allein für den Wohnungsbau genutzt werden. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise 1929 betreibt Reichskanzler Heinrich Brüning eine rigide Sparpolitik.

Ein Umdenken wird erforderlich, der Wohnungsbau muss sich stärker den Gegebenheiten anpassen. Das Grundstück für die neue Siedlung liegt nah am Alexanderplatz am Rand der Berliner Innenstadt. Es ist dementsprechend teuer und der Platz begrenzt. Taut sucht nach einer Möglichkeit, hohe Wohndichten mit einem Gefühl von Weite und Großzügigkeit zu verbinden. Seine Lösung: Platz sparende Blockrandbebauung, die mit ihrer U-Form geschlossene Höfe vermeidet. Er ordnet lange Häuserzeilen und Quergebäude um breite Höfe herum an.

Farbe bringt Lebensfreude

Bruno Taut legt großen Wert auf Farbe in der Architektur: Besonders in der Hufeisensiedlung in Britz wird das deutlich. Beim Gang durch die Wohnstadt Carl-Legien mit ihren fünfgeschossigen Bauten lohnt es sich, auf Details zu achten.
Die Türen sind auffällig in Weiß-Rot oder Sonnengelb gestrichen. Gleiches gilt für die Fensterrahmen. Damit lockert Taut die strengen Fassaden seiner Wohnblocks auf. Ein simples, günstiges Mittel der Gestaltung, das zu seinem Markenzeichen wird. Er selbst sagt:

„[…] Farbe ist Lebensfreude, und, weil sie mit geringen Mitteln zu geben ist, deshalb müssen wir gerade in der Zeit der heutigen Not […] auf sie dringen.“

Der Luxus eines Balkons für alle

Durch die U-förmige Anordnung der Gebäude nutzt Taut optimal den vorhandenen Platz und kann große Grünflächen für einen erholsamen Ausblick zwischen die Häuser setzen. Und den genießt in der Wohnstadt Carl Legien jede Bewohner:in durch durchgängige Loggien (überdachte Balkone) zu den Höfen hin. Die Inspiration dazu findet Taut wie schon bei der Siedlung Schillerpark in den Bauten des niederländischen Architekten J.J. Pieter Oud. Den Luxus eines Balkons zum Entspannen haben zuvor fast nur wohlhabende Mieter:innen in den Berliner Vorderhäusern.

Ebenso gut durchdacht sind die Grundrisse. Funktionale Räume wie Küche und Badezimmer liegen nach außen, zur Straße hin. Aufenthaltsräume wie Schlaf- und Wohnzimmer zu den Wohnhöfen mit Blick ins Grüne.
Die Balkone der Eckbauten in der Erich-Weinert-Straße führen über Eck. Das hat einen Vorteil: Sie sind so zur Sonne hin ausgerichtet, dass die Bewohner fast den ganzen Tag direktes Sonnenlicht genießen können. Und den Blick eines Besuchers der Siedlung lenken die Eckbalkone ebenfalls direkt ins Innere der Wohnhöfe.
Typisch für Tauts Schaffen ist, dass die Höfe einem Farbschema folgen. Es liegen sich immer zwei farblich abgestimmte Höfe gegenüber: Rot, blau und grün sind die Wände der Loggien gestrichen.

In einem der roten Höfe steht in der Mitte noch das ehemalige Wasch- und Heizhaus. Ab den 1980er Jahren gibt es für das Haus keine Verwendung mehr. Es steht viele Jahre leer und dient seit 2008 als Museumsdepot für das Bauhausarchiv.

Name als Politikum

An der Ecke Erich-Weinert-Straße und Gubitzstraße ist an einem der Eckhäuser seit 2014 auch wieder der Schriftzug „Wohnstadt Carl Legien. Errichtet von der GEHAG 1929–1930“ zu lesen. Legien war ein deutscher Gewerkschaftsführer und Sozialdemokrat, der 1920 starb. Die anderen Straßen in der Wohnstadt sind ebenfalls nach Sozialdemokraten benannt.

Die Nationalsozialisten dulden diese Namensgebung nicht. Schon wenige Monate nach ihrer Machtübernahme benennen sie die Straßen nach Schlachtfeldern an der Westfront im Ersten Weltkrieg um. Das Viertel heißt nun Flandernviertel.

Ein Farbkonzept geht verloren – und wird wiederhergestellt

Nach dem Krieg bekommen die Straßen Namen, die an ermordete kommunistische Widerstandskämpfer erinnern. Das ursprünglich von Bruno Taut vorgesehene Farbkonzept geht zwischenzeitlich durch Instandsetzungen verloren. Auch das einheitliche Erscheinungsbild der Siedlung leidet, da Mieter:innen ihre Loggien vereinzelt zu Wintergärten umwandeln. Seit Beginn der 1990er Jahre gelingt es jedoch, das Erscheinungsbild der Anlage im Sinne Bruno Tauts wiederherzustellen. 

Unsere Tipps zur Wohnstadt Carl-Legien

Direkt am S-Bahnhof Prenzlauer Allee lockt das Zeiss-Großplanetarium Groß und Klein ins größte Sternentheater Berlins. Das Café Eckstern in der Wohnstadt lädt zum Verweilen und Genuss im Denkmal ein. Unweit der Siedlung finden sich an der Weißenseer Spitze das Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik mit Theater und Kino. An der Gustav-Adolf-Straße 2 begrüßt als Überbleibsel der früheren Filmstadt Weißensee das denkmalgeschützte ehemalige Stummfilmkino Delphi seine Gäste mit ausgewählten Veranstaltungen.

Umfassende Informationen zu den Bauten der Berliner Moderne und ihrer Geschichte finden Sie auf unserer Webseite:

Zur Architektur der Berliner Moderne

Grand Tour der Moderne

Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 entwickelte der Bauhausverbund eine Grand Tour der Moderne, die Architekturfans durch ganz Deutschland führt. Die Wohnstadt Carl-Legien ist Bestandteil dieser Themenroute.

Die weiteren Berliner Standorte als Grand Tour der Berliner Moderne:

Grand Tour der Berliner Moderne

Praktische Infos von visitBerlin

Vom S-Bahnhof Prenzlauer Allee ist die Welterbe-Siedlung zu Fuß zu erreichen. Vom Alexanderplatz bietet sich auch die Fahrt mit der Straßenbahnlinie M2 bis zur Haltestelle Erich-Weinert-Straße an. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.

Eine Bitte in eigener Sache

Die Siemensstadt ist ein ausgewiesenes Flächendenkmal. Gleichzeitig ist sie aber auch das Zuhause vieler Menschen, die hier wohnen und arbeiten. Diese pflegen das Denkmal und helfen, die Erinnerung zu bewahren.
Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Besichtigung. Vielen Dank!