Partizipative und performative Gedenkaktionen im öffentlichen Raum
Gezeigt wird eine performative Gedenkkultur als
Bewegung, die sich eigenständig in Form von partizipativen Prozessen,
temporären Interventionen und politischen Performances entwickelt hat. Die
Frage, wie Kunst gesellschaftlich fruchtbar werden, Heilungsprozesse anstoßen
und politisch Einfluss nehmen kann, steht dabei im Fokus der Auseinandersetzung
zwischen einer alternativen antifaschistischen Nachkriegsgedenkkultur und der
gegenwärtig postkolonial geprägten globalen Gedenkkultur.
Bewegung, die sich eigenständig in Form von partizipativen Prozessen,
temporären Interventionen und politischen Performances entwickelt hat. Die
Frage, wie Kunst gesellschaftlich fruchtbar werden, Heilungsprozesse anstoßen
und politisch Einfluss nehmen kann, steht dabei im Fokus der Auseinandersetzung
zwischen einer alternativen antifaschistischen Nachkriegsgedenkkultur und der
gegenwärtig postkolonial geprägten globalen Gedenkkultur.
So werden zu dieser
derzeit weitgehend von Trauerarbeit bestimmten Erinnerungskultur Alternativen
angeboten, in denen Ironie, Humor und Subversion eine konstruktive und entpolarisierende Rolle spielen,
um emotional aufgeladene Problemfelder von Erinnerungen neu zu erschliessen und
anders zu denken.
Angesichts der Enttäuschung, die die derzeitig
wieder zunehmende Anzahl von Konflikten und Kriegssituationen mit sich bringt,
wird offensichtlich, dass viele Aspekte einer nationalen oder militaristischen
Erinnerungskultur, dringend überdacht werden müssen. Der Kanon an Gedenkzeichen
kann inmitten von Polarisierung, Desinformation und weltweit steigenden
Spannungen, nur mit Skepsis und Frustration betrachtet werden.
Die acht an der Ausstellung beteiligten
Künstler:innen bringen die gewohnte Art der Erinnerung »in Bewegung«, wenn
sie einerseits auf andere Arten von Emotionen rund um die Konflikte der
Vergangenheit abzielen und andererseits typische Repräsentationen von
Erinnerung »verändern«, in dem sie andere Materialitäten, andere Körper sowie
andere Arten der Aufzeichnung und Übermittlung von Erinnerung anbieten.
Cécile Belmont (FR)
verbindet in ihrer künstlerischen Praxis poetische und politische Ebenen über
Alltagstechniken. Ob sie Zeichnungen in der Landschaft stickt oder in der Stadt
mit Passanten Kleidungsstücke beschriftet, immer geht es ihr um die Kommunikation
und den Prozess. Die in der Ausstellung gezeigte Serie von Stickereien und
Fotografien erzählt von Erinnerung und Landschaft anhand des Atlantikwalls,
einer Befestigungslinie, die von 1942 bis 1944 entlang der europäischen Küste
gebaut wurde, um die Landung der Alliierten zu verhindern. In diesen seltsamen
Landschaften sind die Narben der Befestigung von der Natur mittlerweile schwer
zu unterscheiden. Die Geste des kontemplativen Stickens stellt als Akt des
Gedenkens ein besonderes Verhältnis zur Zeit her.
Nezaket Ekici (DE/TR)
konzentriert sich in ihren Performances und Installationen auf Themen wie
Identität, Religion, Kunstgeschichte und Architektur. Die Ideen für ihre
Arbeiten entstammen oft dem Alltagsleben, so auch das Video Papa’s Poem,
das die Beschäftigung mit ihrer eigenen Herkunft zeigt. Die Künstlerin bezieht
sich hier auf ein Gedicht ihres Vaters Ziya Ekici, das in dessen Gedichtsband Balik
Bastan Kokar/Der Fisch stinkt vom Kopf her veröffentlich wurde. Ihr Vater
kam 1970 aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland. Er holte die Familie
drei Jahre später nach. Papa’s Poem stellt traditionelle Begriffe der
Kunstgeschichte bezüglich Skulptur und Mahnmal als feste und dauerhafte Objekte
in Frage. Damit werden Bildhauerei sowie Gedenkkultur als flexible
Gestaltungsprozesse gezeigt, die sowohl Objekte (Denkmäler) wie auch Individuen
(persönliche Positionierungen) ständig »modellieren«.
Wolfram Kastner (DE)
setzt sich öffentlich wahrnehmbar mit deutscher Geschichte, der Präsenz und den
Nachwirkungen von NS-Verbrechen auseinander. Seine Aktionen provozieren
Diskussionen, Nachdenken, Widerspruch – und oft juristische Prozesse, in denen
es auch um die Frage geht, was Kunst ist und darf. Eine Aktion, die seit Jahren
als soziale Skulptur stattfindet, richtet sich gegen das Ehrenkreuz für den zum
Tode verurteilten NS-Hauptkriegsverbrecher Alfred Jodl auf der Fraueninsel im
Chiemsee. Jodl war verantwortlich für die Ermordung von Millionen Zivilpersonen
und Kriegsgefangenen. Kastners künstlerische Interventionen loten das aktuelle
Geschichtsbewusstsein, auch von Politik und Justiz, die »Freiheit der Kunst«
und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im öffentlichen Raum aus.
Margarete Rabow (DE)
verbindet in ihrer Arbeit über das KZ Katzbach performative und filmische
Elemente. Im Mai 2014 wurden die 528 Namen der Todesopfer des Lagers, die auf
dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben wurden, mit Schulkreide auf eine Straße
mitten in der Stadt geschrieben. Anschließend wurde ein 37-sekündiger 16mm Film
erstellt, wobei auf jedem Frame ein Name abgebildet ist. Durch die physische
Verdichtung wurden die schrecklichen Ereignisse auf eindrückliche Weise neu
dargestellt.
Ute Reehs (DE) Arbeit
beschäftigt sich mit der Komplexität von Prozessen. Sie umfasst Zeichnungen,
Performances, Videos, Skulpturen im öffentlichen Raum. 2014 erfand sie das
Zentrum für Peripherie. Für ihre Arbeitsweise entscheidend sind
Wechselwirkungen zwischen physischer Präsenz, eigenen Wahrnehmungen, dem
sozialen Miteinander, der Form von Veränderungsprozessen. In ihren Zeichnungen
erkundet die Künstlerin zeichnend die Systeme, in denen wir leben. In den in
der Ausstellung präsentierten Arbeiten lassen sich kommunikative Dynamiken und
Wahrnehmungen der Gedenkkultur finden. Im Gegensatz zu der Vorstellung von
Gedenkkultur als etwas Festem und Unveränderbarem verweist ihre Arbeit auf sehr
komplexe Prozesse des Miteinanders.
Maya Saravia (GT)
konzentriert sich in ihren Arbeiten auf die Bedeutung des Tanzes im
Zusammenhang mit der bildenden Kunst und der Erinnerung. Im Ausstellungsbeitrag
sind die Tanznotationen Transkription der Schritte von Straßentänzern aus den
ehemaligen portugiesischen Kolonien in Lissabon, mit denen sie
zusammengearbeitet hat. Für wen das »Gedächtnis« geschrieben wird, wie wir es
in sehr unterschiedlichen Kontexten des globalen Nordens und Südens erleben und
wiedergeben, steht im Mittelpunkt von Saravias Fragestellung. Der Körper und
die Tanzschritte als performative und uralte Form der »lebendigen« Vermittlung
von Gedächtnis und der kulturellen Identität werden den westlich anmutenden
schriftlichen Formen der Erinnerung gegenübergestellt.
Santiago Sierra (ES)
hinterfragt in seinem Werk 697 STATE CRIMES die aktuelle Bedeutung des
Gedenkens an die Opfer von langfristigen bewaffneten Konflikten auf globaler
Ebene. Während der etwa einstündigen Aktion wurden die Namen der Opfer des
israelisch-palästinensischen Konflikts, die zwischen dem 26. Juli 2014 und dem
30. August 2018 ums Leben gekommen sind, laut gerufen. Das ist ein
künstlerisches Manifest der Präsenz und Flüchtigkeit von Erinnerung und
historischen Diskursen in Bezug auf anhaltende und ungelöste Konflikte. Diese
Arbeit ist die Fortsetzung der Aktion 2205 STATE CRIMES, die sich auf
die bei einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen im Jahr 2014 getöteten
Personen bezieht.
Roberto Uribe (CO) nimmt kritisch Bezug
auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europas. Dazu greift er auf archiviertes
Fotomaterial über die Ausbeutung von Kautschukarbeiter in afrikanischen Ländern
sowie im Amazonasgebiet zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Uribe
verleiht dem Archivmaterial eine weitere Materialität, wenn er die Bilder aus
Gummiabfällen von Autoreifen auf Glasscheiben als Metapher für öffentliche
Zirkulation und Transparenz in Bezug auf die Vergangenheit neu bearbeitet.
Ergänzend zeigt ein Video die im öffentlichen Raum stattgefundene Aktion Vogelperspektive.
Hier wurden exotische Vogelfedern auf verschiedene Kultureinrichtungen in Köln
projiziert, um die Rolle dieser Institutionen bei der Konstruktion von
»exotischen« Imaginationen über den globalen Süden zu hinterfragen.
Kuratiert von Oscar Ardila und Stefan Krüskemper
Zusätzliche Informationen
Vernissage: Donnerstag, 16.06.2022, 18 Uhr
Begrüßung: Cornelia Rößler, Vorstand Deutscher
Künstlerbund
Einführung: Oscar Ardila
und Stefan Krüskemper, Ausstellungskuratoren
Kuratorenführungen
Donnerstag, 30.06.2022 | 17 Uhr
Donnerstag, 21.07.2022 | 17 Uhr
Aktionstag
Donnerstag, 01. September 2022 | 17 – 21 Uhr
Performances mit den Künstler*innen Nezaket
Ekici, Wolfram Kastner und Roberto Uribe
Vortrag und Gespräch der Kuratorin und Autorin
Paz Guevara, Haus der Kulturen der Welt und Archive in Berlin, mit den
Ausstellungskuratoren Oscar Ardila und Stefan Krüskemper (in englischer
Sprache)
Treffpunkt: Deutscher Künstlerbund Markgrafenstraße 67 | 10969 Berlin-Kreuzberg
Besuch: Der Besuch der
Veranstaltungen ist kostenfrei.
Teilnehmende Künstler
Cécile Belmont
Nezaket Ekici
Wolfram Kastner
Margarete Rabow
Ute Reeh
Maya Saravia
Santiago Sierra
Roberto Uribe