Leben in einer geteilten Stadt: West-Berlin
Von 1961 bis 1989 teilte die Berliner Mauer die Stadt, der westliche Teil war komplett von der Mauer umgeben. So entstand eine historische Besonderheit, eine Stadt mit politischem Sonderstatus , die ein ganz eigenes Lebensgefühl erzeugte. Schon allein die Benennung ist problematisch: Offiziell hieß es Berlin (West), in Ost-Berlin schrieb man – wenn überhaupt – Westberlin, in West-Deutschland und West-Berlin wurde jedoch der Bindestrich benutzt. So war schon allein die Schreibweise ein Politikum.
West-Berlin umfasste die heutigen Stadtteile Tiergarten, Kreuzberg, Charlottenburg, Wilmersdorf, Reinickendorf, Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Neukölln, Schöneberg, Tempelhof und Wedding.
Politischer Sonderstatus: Besonderheiten der Stadt
Auch wenn West-Berlin seit 1950 vom Senat regiert wurde, besaß es bis zum Mauerfall einen Sonderstatus. Laut dem sogenannten Viermächte-Status verblieb die politische Macht bei den West-Alliierten. Aufgeteilt war die Stadt in drei Sektoren mit den Amerikanern im Süden, den Franzosen im Norden und den Engländer im Westen. Auch im Stadtbild waren die Alliierten präsent: Straßen hießen zum Beispiel Avenue Charles-de-Gaulle, es gab Geschäfte und Kinos ausschließlich für Angehörige der alliierten Streitkräfte (so die Truman Plaza in Zehlendorf). Und im Sommer wurden das Amerikanische und das Französische Volksfest gefeiert, bei denen landestypische Spezialitäten wie Merguez oder Burger gereicht wurden.
Der besondere Status der Stadt zeigte sich auch darin, dass die West-Berliner keinen bundesdeutschen Personalausweis besaßen sondern den „Behelfsmäßigen Personalausweis“ mit grünem statt grauem Einband. Anders als in der Bundesrepublik gab es keine Wehrpflicht, was West-Berlin zum Anziehungspunkt für viele Wehrdienstverweigerer machte und auch keine Sperrstunde, so dass ein blühendes Nachtleben entstand.
Die Mauer im Stadtbild
Die Mauer teilte die Stadt, sie durchschnitt Straßen und Plätze. In innerstädtischen Bezirken wie Kreuzberg stand sie unmittelbar auf einer Straße oder zog sich entlang der Häuserreihen. Direkt hinter dem Reichstag erhob sich die Mauer, die dann in einem Bogen um das Brandenburger Tor, das sich im Speergebiet befand, weiterführte. Gewässer wie die Spree waren Gefahrenzonen, da sie auch zum DDR-Gebiet gehörten. So ertranken mehrere Kinder in Berliner Gewässern, welche nicht schwimmen und von westlicher Seite nicht gerettet werden konnten, bis Sondernotrufsäulen installiert wurden. Im Laufe der Jahre wurde die Mauer, bunt mit Graffiti bemalt, Teil des Stadtbildes und des Alltages.
„Ich bin ein Berliner“: Leben mit den Alliierten
Nach der Währungsreform 1948 riegelten sowjetische Truppen West-Berlin ab, um die wirtschaftliche und somit politische Kontrolle über ganz Berlin zu gewinnen. Mit der Luftbrücke der Amerikaner und Briten wurde das Überleben in West-Berlin bis zum Ende der Blockade gesichert, da Lebensmittel und Kohle durch den Luftraum transportiert wurden. Die Flugzeuge gingen als Rosinenbomber in die Geschichte ein, da die Soldaten sehr zur Freude der Berliner Kinder Süßigkeiten mit kleinen Fallschirmen abwarfen.
Am 26. Juni 1963 besuchte der amerikanische Präsident Kennedy die Stadt und hielt vor dem Schöneberger Rathaus seine umjubelte Rede mit den unsterblichen Worten „Ich bin ein Berliner“. Für die Berliner, welche sich von den Alliierten und der Bundesregierung alleingelassen fühlten (so kam der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer erst Tage nach dem Mauerbau in die Stadt) waren diese Worte ein wahres Labsal. Jahre später gegen Ende des Kalten Krieges, als Ronald Reagan am Brandenburger Tor Gorbatschow aufforderte „Tear down this Wall“, hatte sich die Stadt, viele ihrer Bewohner und auch deren Verhältnis zu den Amerikanern geändert. So wurde Reagans Besuch von Begeisterung, aber auch von Demonstrationen und Skepsis begleitet.
Der Insulaner verliert die Ruhe nicht
Das prägende Lebensgefühl für viele gerade nach Blockade und Mauerbau war die Inselmentalität, so wurde West-Berlin auch als Insel im roten Meer (des Kommunismus) und als letzte Bastion westlicher Werte angesehen. Typischer Ausdruck dieses besonderen Lokalpatriotismus fand sich in dem Lied „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht“ der Kabarettsendung im Rundfunksender RIAS. Bestandteil des trotzigen Durchhalte-Bewusstseins war auch die Ablehnung der Angebote der DDR-Regierung. So kauften viele auch während der Blockade und später nicht in Ost-Berliner Geschäften. Einige nutzten nicht mal die S-Bahn, da sie der Ost-Berliner Führung unterstand.
Zeit der Unruhe
In den späten 60ern und in den 70ern war West-Berlin eine der Hochburgen der Studentenbewegung, die sich gegen die erstarrten Strukturen der Gesellschaft wandten. Durch den Vietnamkrieg entwickelte sich eine amerikakritische Haltung vieler Studenten, welche sich stark von der Einstellung älterer West-Berliner, welche die Alliierten als Freunde und Schutzmacht sahen, unterschied. Neben der Politik wurden auch die Formen des Privatlebens in Frage gestellt und neue Wege ausprobiert. So gründete sich die Kommune 1, welche versuchte, neue Formen des Zusammenlebens zu finden. Als der Senat vor allem in Kreuzberg Alt-Bauten abreißen wollte, um Platz für neue Hochhäuser und breite Straßen zu schaffen, wurden die Häuser besetzt, um so den Abriss zu verhindern. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mit den Jahren wurden viele der Hausbesetzer zu Eigentümern und renovierten Wohnungen und Häuser. Traurige Berühmtheit als Drogenmetropole erlangte West-Berlin 1978 mit dem Buch „Wir Kinder von Bahnhof Zoo“ von Christiane F., das die dunklen Seiten von Drogenkonsum, Kriminalität und Prostitution unter der glitzernden Oberfläche zeigte.
Künstler und Lebenskünstler
In Berlin blühte das künstlerische Leben. Als Literaturmeile bekannt war der gut-bürgerliche Bezirk Friedenau, in dem Schriftsteller wie Günther Grass und Uwe Johnson lebten. In den Theatern wie der Schaubühne wurde mit Stücken experimentiert und neue Inszenierungsansätze geschaffen. Viele kamen aus als spießig und eng empfundenen Orten nach West-Berlin, um hier alternativen Lebensentwürfen zu folgen, welche anderswo in West-Deutschland undenkbar waren. Ein typisches Modell alternativer Lebenswelten war (und ist) die ufaFabrik im Tempelhof mit zahlreichen Kulturprojekten. Sein Bewohner Juppy erlangte auch jenseits von Berlin große Bekanntheit.
Das ist Spitze - Berliner Originale
Mittlerweile ist es verschwunden, doch noch Jahre nach der Wiedervereinigung lächelte Harald Juhnke von einem – mittlerweile legendären – Werbebild für ein Chinarestaurant. Harald Juhnke zählte zu den typischen West-Berliner Prominenten in Film und Fernsehen, die ebenso – und doch ganz anders als Rio Reiser und David Bowie – das Bild der Stadt prägten. Dazu gehörten Edith Hancke, Brigitte Mira, Hans Rosenthal und natürlich Rolf Eden. Dann gab es noch diejenigen, die jeder vom Sehen– auch wenn nicht den Namen nach - kannte, wie die Tüten-Paula, eine Obdachlose auf dem Kürfürstendamm, oder die Aktivistin, welche ihre Friedens-Theorien mit eingängigem Slogan dem staunenden Publikum vortrug.
Heroes: Berlins Musikszene
Für kaum etwas ist West-Berlin heute noch so bekannt wie für seine lebendige Musikszene und Subkultur, denn anders als in westdeutschen Städten gab es keine Sperrstunde. Man ging in den Dschungel, Risiko, SO 36, Shizzo, Penny Lane, Anderes Ufer, Frontkino, Ex’n'Pop, Kumpelnest 3000. Die Berliner Vorstadtjugend besuchte auch gerne das Linientreu, Riverboat, Meadow oder das Big Eden, das später vor allem Touristen anzog. Der schillerndste Star war David Bowie, der von 1976 bis 1978 in der Schöneberger Hauptstraße lebte und in den Hansa-Studios das legendäre Berlin-Album Heroes aufnahm. Zusammen mit Iggy Pop, der im selben Haus lebte, spielte er auch die Alben The Idiot und Lust for Life ein. Auch Depeche ModesAlbum Some Great Reward wurde 1984 in den Hansa-Studios aufgenommen.
Kreuzberg
Der wohl bekannteste Berliner Stadtteil war – und ist noch immer – Kreuzberg, der oft als typisch für ganz Berlin verstanden wurde. Kreuzberg, durch den Mauerverlauf direkt betroffen und an den Stadtrand gedrückt, war ein ehemaliges Arbeiterviertel mit vielen, oft maroden Altbauten. Hier siedelten sich Künstler, Studenten auf der Suche nach alternativen Lebenswegen an. Zudem zogen viele Migranten, die meisten aus der Türkei kommend, nach Kreuzberg, das bald den Spitznamen „Klein-Istanbul“ trug.
West-Berlin heute
Mit dem Fall der Mauer verschwand nicht nur die DDR sondern auch das alte West-Berlin. In den 1990ern und frühen 2000ern verlagerte sich das Nacht- und Szeneleben gen Osten, wo neue Clubs mit neuen Musikstilen entstanden. Mittlerweile ist die Renaissance der City-West eingeläutet. Mit dem renovierten BIKINI Berlin und Zoo Palast, dem Cumberlandhaus und zahlreichen neuen Geschäften ist neuer Glanz am Kurfürstendamm eingekehrt.