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Reichsforschungssiedlung Haselhorst
Reichsforschungssiedlung Haselhorst © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Reichsforschungssiedlung Haselhorst

Unterschätzte Siedlung der Moderne

Beim Stichwort Berliner Moderne denken viele zuerst an die UNESCO-Siedlungen. Doch die größte und modernste Wohnanlage entsteht in Haselhorst.

Berlin, Ende der 1920er Jahre: Es herrscht Wohnungsnot. Zehntausende leben in Baracken, Lauben und abbruchreifen Altbauwohnungen. Ständig ziehen neue Einwohner nach Berlin – auch sie sind auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft.
Abhilfe schaffen will die neugegründete Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen. In ihr engagieren sich Persönlichkeiten wie die liberale Reichstagsabgeordnete und Frauenrechtlerin Marie-Elisabeth Lüders, Stadtbaurat Martin Wagner oder Architekten wie Walter Gropius und Bruno Taut.
Die Reichsforschungsgesellschaft initiiert 1928 einen Wettbewerb, um im Spandauer Ortsteil Haselhorst kostengünstig 3.000 Wohnungen in Zeilenbauweise zu errichten. Doch das Ziel ist nicht nur eine Siedlung. Die Auftraggeber wollen deren Vorbereitung und Ausführung erforschen, um daraus für künftige Wohnungsbauprojekte zu lernen – so entsteht der ungewöhnliche Name Reichsforschungssiedlung.

Allerdings haben Wettbewerbsjury und Bauherr unterschiedliche Vorstellungen von der Ausgestaltung dieser Reichsforschungssiedlung. Das Fachgremium aus Martin Wagner, Otto Bartning und weiteren Vertretern des Neuen Bauens entscheidet sich für den Entwurf von Walter Gropius und Stephan Fischer, einen Zeilenbau mit zehn- bis zwölfgeschossigen Hochhäusern. Doch der Bauträger, das Wohnungsbauunternehmen Gewobag, ist davon nicht überzeugt. Es will einen günstigen Kompromiss.

Letztlich errichten unterschiedliche Architekten zwischen 1930 und 1935 die Reichsforschungssiedlung, die meisten Entwürfe stammen von Fred Forbát, Paul Mebes und Paul Emmerich. So entsteht der experimentelle Charakter, der gewünscht war – mit verschiedenen Bauweisen und Ansätzen. Reihenhäuser stehen neben Laubenganghäusern und Gebäuden aus Stahlbeton. Die realisierten Zeilenbauten sind jedoch keine Hochhäuser. Sie haben meist vier Geschosse und sind durch Querbauten und Grünflächen aufgelockert.

Viel Komfort für wenig Geld

Reichsforschungssiedlung Haselhorst
Reichsforschungssiedlung Haselhorst © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Die Wohnungen sollen nicht repräsentieren, sondern für möglichst wenig Geld den besten Komfort bieten. Marie-Elisabeth Lüders, die Initiatorin der Reichsforschungsgesellschaft, fordert:

„Erst die Küche – dann die Fassade!“

Das entspricht auch dem Programm des Architekten Paul Mebes, der die Wohnung von der Küche her denkt. Er ersetzt die Wohnküche durch eine abtrennbare Kleinstküche, die Gerüche aus den anderen Räumen fernhält. Da für die 2-Zimmer-Wohnungen meistens nur 40 bis 50 Quadratmeter Fläche zur Verfügung stehen, müssen die Architekten den Raum effizient nutzen. Einen Eindruck davon bekommen Sie in einer Museumswohnung innerhalb der Reichsforschungssiedlung: Die Holztüren mit Klinken und Türspion sind ebenso original wie die Terrazzoböden in Küche und Bad und die ochsenblutroten Holzdielen.

Die Architekten experimentieren mit unterschiedlichen Grundrissen. Die Wohnküche verschwindet nicht, denn in den 1,5-Zimmer-Wohnungen gibt es keinen Platz für einen eigenen Küchenraum. Die Fassaden sind aus Kostengründen zurückhaltend angelegt, Fred Forbáts rahmenartig gefasste Balkone sind das auffälligste Gestaltungsmittel.
Mit der Reichsforschungssiedlung entsteht die modernste und mit 12.000 Bewohnern auch größte Berliner Siedlung der Weimarer Republik. Hier können sich Menschen mit wenig Geld eine Wohnung leisten. Immerhin 37 Prozent der Mieter sind Arbeiter – viel mehr als in der Hufeisensiedlung, der Großsiedlung Siemensstadt oder der Weißen Stadt in Reinickendorf. Aber selbst in der Reichsforschungssiedlung stellen sie nicht die Mehrheit. Die Hälfte der Bewohner sind Angestellte und Beamte.

Auflösung der Reichsforschungsgesellschaft

Die Reichsforschungsgesellschaft muss sich mit Machtantritt der Nationalsozialisten auflösen. Die Bauten der Moderne werden bis 1935 durch die Gewobag fortgeführt. Fred Forbát entziehen die Nationalsozialisten 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit und die Arbeitserlaubnis. Während der Architekt emigriert und überlebt, sterben seine Eltern und seine Schwester in Auschwitz.
In den Jahren 2003 bis 2013 sorgt die Gewobag für eine denkmalgerechte Sanierung des Siedlungskomplexes.

Unsere Tipps rund um die Reichsforschungssiedlung

Einen authentischen Einblick in das Wohnen in der Reichsforschungssiedlung in den Dreißigerjahren erhalten Sie in der Museumswohnung.


Weitere Bauten der Berliner Moderne können Sie mit der U-Bahn-Linie 7 entdecken. Fahren Sie bis Haltestelle Siemensdamm und erkunden Sie dort die Großsiedlung Siemensstadt. In westlicher Richtung ist es nur ein kurzer Fußweg zur ehemaligen Gewehrfabrik Haselhorst. Hier bietet sich eine geführte Tour im BMW-Motorenwerk an.

Praktische Infos von visitBerlin

Die Reichsforschungssiedlung erreichen Sie mit der U-Bahn-Linie 7 an der Haltestelle Haselhorst. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin Welcome Card.

Eine Bitte in eigener Sache

Die Siemensstadt ist ein ausgewiesenes Flächendenkmal. Gleichzeitig ist sie aber auch das Zuhause vieler Menschen, die hier wohnen und arbeiten. Diese pflegen das Denkmal und helfen, die Erinnerung zu bewahren.
Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Besichtigung. Vielen Dank!

 

Öffnungszeiten

jeweils am letzten Sonntag eines Monats 14:30 – 16:30
Öffnungszeiten (Zusatzinfos)

An diesen Terminen ist eine Besichtigung der Museumswohnung ohne Voranmeldung möglich.