Heizkraftwerk Klingenberg
Ein lebendiges Zeugnis Berliner Industriegeschichte
In den 1920er Jahren ist Berlins Ruf als Elektropolis in Gefahr: Die Kraftwerke produzieren nicht mehr genug Elektrizität für den Stromhunger der Metropole.
Berlin ist seit 1920 Groß-Berlin. Die Stadt hat ihre Fläche auf einen Schlag um das Dreizehnfache auf fast 900 Quadratkilometer erhöht. Nur fünf Jahre später übersteigt die Einwohnerzahl vier Millionen Menschen. Das ist selbst für die Welthauptstadt der Elektrizität eine Herausforderung. Immer wieder fällt der Strom aus.
Die Lösung ist das Heizkraftwerk Klingenberg, Berlins erstes Großkraftwerk. In der Rekordzeit von nur 15 Monaten entsteht in Rummelsburg das bis dahin leistungsfähigste Kraftwerk Europas. Doch Klingenberg ist mehr als nur ein Kraftwerk. Das Ensemble im Stil der Neuen Sachlichkeit ist ein herausragendes Werk der Berliner Industriearchitektur. Funktionalität und moderne Ästhetik greifen hier gekonnt ineinander.
Das Heizkraftwerk Klingenberg steht heute unter Denkmalschutz, ist aber kein Museum. Wie vor fast hundert Jahren ist es noch immer ein Kraftwerk, das Berlin mit Strom und Wärme versorgt. Und es ist ein wunderbarer Ausgangsort für einen Ausflug in den Berliner Osten: Bei schönem Wetter warten zum Beispiel die Rummelsburger Bucht und der Plänterwald auf Sie.
Berliner Selbstversorgung
In Berlin sitzen die Elektro-Weltkonzerne AEG und Siemens. Aber zu Beginn der 1920er Jahre zeigt sich: die eigenen Kraftwerke reichen für die Versorgung nicht mehr aus und Fernstrom ist zu teuer.
Die neugegründete Berliner Städtische Elektrizitätswerke Aktien-Gesellschaft (BEWAG) will gegensteuern und plant zwei Großkraftwerke, eines für die Westbezirke in Spandau und eines für die Ostbezirke der Stadt in Rummelsburg. Der Bauplatz in Rummelsburg ist ein idealer Ort, verkehrsgünstig an der Spree gelegen mit direktem Anschluss an den örtlichen Verschiebebahnhof.
Die Kraftwerke sollen nicht nur mehr, sondern auch günstigere Energie bereitstellen und so die Wirtschaft der Stadt fördern. Die Einnahmen aus dem Stromverkauf sollen wiederum dem Stadthaushalt zugutekommen. Auslandskredite aus den USA machen die Finanzierung der Bauvorhaben möglich. Den Auftrag zur Planung und Umsetzung vergibt die BEWAG an die AEG.
Kraftakt der Brüder Klingenberg
Georg Klingenberg ist bei AEG der wichtigste Fachmann für Kraftwerke. Er plant das Projekt in Rummelsberg, stirbt aber noch vor seiner Umsetzung. Zu seinen Ehren wird das Kraftwerk daher später seinen Namen tragen.
Verantwortliche Architekten sind Georgs Bruder Walter Klingenberg und sein Partner Werner Issel. In den Jahren 1925/26 lassen sie das neue Großkraftwerk errichten. Ein Projekt, and dem zeitweise 3.000 Arbeitskräfte und 100 unterschiedliche Firmen beteiligt sind.
Eine logistische Meisterleistung ist der Bau des Maschinenhauses: Die 1.500 Tonnen schwere Stahlskelettkonstruktion entsteht in nur vier Wochen Bauzeit.
Meilenstein der Neuen Sachlichkeit
Fast alle Gebäude des Kraftwerks Klingenberg ruhen auf Stahlskeletten. Bei den Schauseiten zur Spree hin legen die Architekten großen Wert auf die ästhetische Gestaltung. Es sind aber keine Verzierungen im Stil des Historismus, die die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich ziehen sollen. Das Kraftwerk ist ein Beispiel für die Architektur der der Neuen Sachlichkeit.
Ein besonderer Blickpunkt ist der elfgeschossige Verwaltungsturm. Wie der Borsigturm zeigt er expressionistische Elemente: die dreieckig abschließenden Fenster im obersten Geschoss, der durchbrochene Dachaufsatz und die Ornamentstreifen aus Klinker.
Mit rotem Klinker haben die Architekten auch die Fassaden anderer Gebäude verkleidet. Hier sticht vor allem das Maschinenhaus hervor, dessen langgezogene Spreeseite eine repräsentative Pfeilerfassade schmückt. Gemeinsam mit dem gegenüberliegenden Schalthaus fasst das Maschinenhaus einen ganzen Straßenzug ein. Das Schalthaus mit seinen acht markanten Treppentürmen ist übrigens das einzige gemauerte Gebäude der Kraftwerksanlage.
Unheimliche Faszination der Industrie-Ästhetik
Die rückwärtigen Teile der Anlage, die der Betrachter vom Fluss aus nicht sehen kann, zeigen offen ihre Funktion. Nichts verhüllt oder verkleidet hier die stählernen Fabrikbauten. Eine Ästhetik, die die Zeitgenossen beeindruckt, aber auch beinahe etwas einschüchtert. Die Fachzeitschrift „Die Form“ schreibt 1929 über das Kraftwerk Klingenberg:
„… das ist das Unheimliche dieser Gebilde, daß sie Kräfte erzeugen und enthalten, gegen die die mechanische Funktion gering ist und nur zu ihrer Erzeugung dient, Kräfte, die unser Vorstellungsvermögen nicht fassen kann. Hier beginnt, vom Gesichtspunkt des menschlichen Formempfindens gesehen, das Unfaßliche, aber Beseelende dieser Form.“
Stolz der Stadt Berlin
Das Großkraftwerk Klingenberg produziert mit einer Leistung von 270 Megawatt. Seit 1928 deckt es damit zwei Drittel des Berliner Strombedarfs ab. Die Elektropolis ist gesichert.
Aber nicht nur das. Die Stadt Berlin ist stolz auf ihr neues Industriewerk. Auf Werbeplakaten erscheint es als Sehenswürdigkeit neben dem Brandenburger Tor und bei der Weltausstellung in Barcelona 1929 ist es ein Highlight im Pavillon der deutschen Elektrizitätswirtschaft.
Bis in die 1930er Jahre kommen mehrmals am Tag Gruppen aus dem Stadtzentrum, um mit einer Führung das neue Kraftwerk zu besuchen. Viel Bewunderung zieht auch ein Freibad auf sich, das in Rummelsburg mit der Abwärme des Kraftwerks beheizt wird.
Die ökologische Belastung
Bei aller Leistungsfähigkeit ist das Großkraftwerk Klingenberg auch eine Belastung für die Anwohner. Betrieben wird die Anlage mit Braunkohle aus der Lausitz. Rauch- und Rußpartikel verschmutzen die Luft. Im Jahr 1931 baut die Firmenleitung Elektrofilter in die Schornsteine ein.
In der DDR errichten die Betreiber in den 1960er Jahren zwei neue große Schornsteine, die den Ausstoß eindämmen sollen. Mit ihrer Höhe von über 140 Metern prägen sie seitdem das Bild des Großkraftwerks.
Die rückwärtigen Fabrikbauten, darunter die Kesselhäuser und die Kohleaufbereitung, müssen in den nächsten Jahrzehnten Modernisierungen weichen. Erhalten geblieben sind bis heute die repräsentativen Gebäude, vor allem der Verwaltungsturm, das Maschinen- und das Schalthaus.
Das Industriedenkmal ist noch immer ein Kraftwerk
Im Jahr 2006 übernimmt der schwedische Vattenfall-Konzern das Großkraftwerk Klingenberg. Nach wie vor versorgt es Hunderttausende Berliner Haushalte mit Strom, der allerdings nicht mehr aus Braunkohle stammt. Seit 2017 nutzt das Kraftwerk in Rummelsburg umweltfreundlicheres Erdgas. Es ist darüber hinaus auch ein Heizkraftwerk, das also nicht nur Strom, sondern im Zuge der Kraft-Wärme-Kopplung auch Wärme erzeugt.
Unsere Tipps rund um das Heizkraftwerk Klingenberg
Da das Heizkraftwerk Klingenberg bis heute ein Kraftwerk ist, können Sie es leider nicht von innen besichtigen. Genießen sie aber die Monumentalität der modernen Industriearchitektur und machen Sie anschließend ein Kontrastprogramm: Bei gutem Wetter lohnt es sich, ein Ausflug in den Plänterwald auf der anderen Spreeseite zu machen. Dort können Sie gleich eine Führung durch den Spreepark machen [https://gruen-berlin.de/spreepark/besucherinformation-0/fuehrungen], einst der einzige Freizeitpark der DDR. In der Rummelsburger Bucht liegen Boote zum Verleih bereit. Ein Denkmal der Industriearchitektur aus DDR-Zeiten entdecken Sie übrigens, wenn Sie mit der Tram-Linie 21 eine Haltestelle nach Süden fahren: Das Funkhaus Nalepastraße ist ebenfalls ein Bauwerk der Neuen Sachlichkeit. Wenn Sie rechtzeitig buchen, können Sie dort eine Führung durch die originale Ausstattung erleben.
Praktische Tipps von visitBerlin
Zum Heizkraftwerk Klingenberg fahren Sie am besten mit der Tram-Linie 21 bis zur Haltestelle Heizkraftwerk. Um die Stadt zu erkunden, empfehlen wir für den öffentlichen Nahverkehr die Berlin WelcomeCard.