Seit Rossinis Krönungsoper 1984 wiederentdeckt wurde, hat sich diese Leistungsschau des Belcanto einen festen Platz im Repertoire erobert. Zugleich ist die Geschichte über die noblen Kurgäste und ihren gescheiterten Reiseplan ein herrliches Stück absurden Theaters, das Jan Bosse als Satire über das »Hospital Europa« inszeniert hat
Dirigent: Michele Spotti / Giulio Cilona; Inszenierung: Jan Bosse; Mit Elena Tsallagova / Lilit Davtyan, Elmina Hasan, Hye-Young Moon, Hulkar Sabirova, Mingjie Lei, Omar Mancini, Joel Allison, Artur Garbas, Philipp Jekal, Kyle Miller u. a.
Il viaggio a Reims
Die Uraufführung von Gioacchino Rossinis letzter italienischer Oper am 19. Juni 1825 in Paris war in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Ereignis: Zum einen stellte sich der Kompositionsstar Italiens endlich mit einem eigens für Paris komponierten Stück in der Seine-Metropole vor. Seit über einem Jahr schon leitete er das Théâtre royal Italien, in dem zahlreiche seiner Opern gespielt worden waren – das anspruchsvolle und überaus kritische Pariser Publikum verlangte aber nach einem neuen Werk der italienischen Schule und fieberte der Uraufführung entgegen.
Zum anderen komponierte Rossini IL VIAGGIO A REIMS für die Krönungsfeierlichkeiten Karl X. Schon 1824 ließ sich der König nach dem Tod seines Bruders Ludwig XVIII. im alten Ritus der vorrevolutionären Monarchen in der Kathedrale zu Reims mit großem Pomp krönen. Im Frühsommer des folgenden Jahres fanden in Paris dann die offiziellen Feierlichkeiten statt, zu denen alle Theater und Opernhäuser Programmpunkte beisteuerten. Rossini und sein Librettist Luigi Balocchi entschieden sich in ihrer Krönungsoper, den Anlass selbst zum Thema zu machen: Aus verschiedenen europäischen Ländern wollen Adelige mit ihren Bediensteten zur Krönung nach Reims fahren, sie stranden aber im Hotel „Zur goldenen Lilie“ und kommen mangels Pferden und Kutschen nicht weiter – kurzerhand entschließen sie sich, nach Paris zu fahren und dort den neuen König zu feiern, nicht ohne zuvor noch ein Festdiner im Hotel selbst zu organisieren. Diese Nicht-Handlung, der äußere Stillstand und das Warten werden garniert mit Flirts, Eifersüchteleien und reichlich nationalen Klischees. Rossini war sich der kurzen Haltbarkeitsdauer der Oper als Anlassstück durchaus bewusst: Einen Großteil der Nummern nutzte er für seine nächste Oper, LE COMTE ORY. Nach wenigen Aufführungen verschwand IL VIAGGIO A REIMS von der Bühne – erst in den 1980er Jahren wurde das Werk wiederentdeckt.
IL VIAGGIO A REIMS ist Rossinis letzte italienische Oper und es scheint fast, als fasse er hier alle Variationen der opera buffa und des dramma giocosa noch einmal lustvoll zusammen: Gleich einer Revue reiht er die unterschiedlichsten Arien- und Ensembleformen der Zeit aneinander. Regisseur Jan Bosse kommt diese Nummerndramaturgie sehr entgegen: „Der Ensemblegedanke dieser Oper scheint mir sehr modern. Eine Gruppe von Menschen sitzt fest – und ergeht sich in absurden Aktionen. Es gibt keine dramatische Story für einige wenige Solisten, sondern eine revueartige Abfolge von kontrastierenden, sehr unterhaltsamen ‚Nummern‘. Diese Nummern arbeiten dann mit klischeehaften Grundsituationen der Oper an sich: der unglücklich Liebende, die leidende Diva, das eifersüchtig sich umkreisende Paar, der komische Kauz. Diese große Nummernshow, aber auch das gemeinsame Erzählen eines Ensembles ist für einen Regisseur, der vom Schauspiel kommt, äußerst reizvoll! Der zunächst äußerliche Stillstand der Handlung ist dabei unsere absurde Triebfeder.
Wir sehen einen Schlafsaal: Ist es eine Kurklinik? Ein Sterbehospiz? Das Asyl des todmüden Europäers? Allabendlich schwingen sich die Insassen zur großen Reise auf – um endlich die Krönung des neuen Königs zu feiern – und bleiben in abstrusen Ritualen stecken.“
ca. 2 Stunden 45 Minuten / Eine Pause
Zusätzliche Informationen
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Die Reise nach Reims oder Das Hotel zur goldenen Lilie
Dramma giocoso in einem AktLibretto von Giuseppe Luigi BalochiUraufführung am 19. Juni 1825 am Théâtre-Italien in ParisPremiere an der Deutschen Oper Berlin am 15. Juni 2018
empfohlen ab 13 Jahren
Mit Unterstützung des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin e. V.
Einführung: 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn im Rang-Foyer rechts
Teilnehmende Künstler
Michele Spotti (Musikalische Leitung)
Jan Bosse (Inszenierung)
Stéphane Laimé (Bühne)
Kathrin Plath (Kostüme)
Kevin Sock (Licht)
Meika Dresenkamp (Video)
Elena Tsallagova (Corinna)
Elmina Hasan (Marchesa Melibea)
Hye-Young Moon (Contessa di Folleville)
Hulkar Sabirova (Madama Cortese)
Mingjie Lei (Cavaliere Belfiore)
Omar Mancini (Il Conte di Libenskof)
Joel Allison (Lord Sidney)
Artur Garbas (Don Profondo)
Philipp Jekal (Barone di Trombonok)
Kyle Miller (Don Alvaro)
Padraic Rowan (Don Prudenzio)
Kieran Carrel (Zefirino)
Alexandra Ionis (Maddalena)
Oleksandra Diachenko (Modestina)
Davia Bouley (Delia)
Byung Gil Kim (Antonio)
Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester)