Eine frei zugängliche Präsentation der Kunstbibliothek erinnert an die kreative, kunstbegeisterte Bewohnerschaft rund um den Matthäikirchplatz vor 100 Jahren. Bilder und Texte über Leben und Wirken ehemals berühmter Anwohner*innen lassen eine glanzvolle Epoche wiederaufleben, die 1933 durch den NS-Staat brutal ein Ende fand.
Heute bildet das Kulturforum mit seinen Museen, Bibliotheken und der Philharmonie ein weltweit einzigartiges Ensemble moderner Architektur, das bald durch das im Bau befindliche Museum „berlin modern“ für die Kunst des 20. Jahrhunderts ergänzt wird.
Kaum jemand weiß jedoch, dass dieses Areal schon vor 100 Jahren ein Ort kulturellen Aufbruchs war – wenn auch in völlig anderer Gestalt. Das damalige Tiergartenviertel gehörte zu den elegantesten Wohn- und Geschäftsquartieren Berlins. Rund um die Matthäikirche wohnten vermögende Unternehmer, Kulturschaffende und Intellektuelle in prachtvollen Häusern – vereint durch ihre Leidenschaft für Kunst, Literatur, Musik und Mode.
Die Kunstbibliothek, die dieses versunkene „Atlantis der Moderne“ intensiv erforscht, lädt mit ihrer Präsentation zu einer faszinierenden Zeitreise in die Vergangenheit des Kulturforums ein. Plötzlich treten Erinnerungen an Menschen hervor, die einst für die Künste lebten – und denen wir bis heute viel verdanken.
Das Tiergartenviertel – eine vergessene Welt
Seit den 1860er Jahren galt das Tiergartenviertel als eines der schönsten Viertel Berlins.
Aus einem Ort der „Sommerfrische“ mit weitläufigen Gärten entwickelte sich bald eine begehrte Wohngegend. In den 1910er- und 1920er-Jahren wurde das Viertel zum „place to be“ für Künstlerinnen, Kunsthändler, Innenarchitektinnen, Modeschöpferinnen und Fotografinnen.
Der radikale Bruch durch Nationalsozialismus, Kriegszerstörung und die Abrisse der Nachkriegszeit ließ vom einstigen Glanz kaum etwas übrig. Heute lebt das Viertel als Mythos fort: Von mehr als 529 Häuserensembles sind lediglich 17 erhalten.
Das Kulturforum – schon vor 100 Jahren ein Zentrum der internationalen Künste
Im Mittelpunkt der Präsentation steht die glanzvolle Epoche des frühen 20. Jahrhunderts, als sich das Tiergartenviertel mit seinen kulturellen Netzwerken zu einem Zentrum der Moderne entwickelte – ein Ort des Kunstsammelns, des Kunsthandels, der Mode, der Fotografie und der Inneneinrichtung. Schon damals war das Gebiet rund um die Matthäikirche ein „Kulturforum“.
Der erzählerische Schwerpunkt folgt ausgewählten Persönlichkeiten, die den Ruhm des Viertels maßgeblich prägten:
Die Modejournalistin Julie Elias etwa lud ihren Künstlerfreund Max Liebermann und zahlreiche prominente Gäste zu Diners und „Tango-Cocktails“ am Matthäikirchplatz ein. Julius Elias und der Galerist Paul Cassirer begeisterten die Nachbarschaft für Van Gogh und die französischen Impressionisten.
Kunstsammlerinnen wie Eduard und Johanna Arnhold oder Oscar Huldschinsky verwandelten ihre Privathäuser in Museen voller Meisterwerke. Innenarchitektinnen wie Leni Michels-Fougner oder Paul Huldschinsky gestalteten repräsentative Wohnräume, während die Mode-Designerin Erna Becker Marlene Dietrichs Garderobe entwarf. Und nicht zuletzt Julie Elias, Chronistin des Tiergartens, vermittelt uns bis heute lebendige Einblicke in die kreative Haute-Couture-Szene Berlins.
Die Vergangenheit des Tiergartenviertels und die Zukunft des Kulturforums
Diese einzigartige kulturelle Blütezeit endete 1933 mit der Entrechtung, Beraubung und Ermordung vieler Bewohnerinnen, die als Jüdinnen und Juden oder als Demokratinnen verfolgt wurden. Der Zweite Weltkrieg zerstörte das Viertel weitgehend, und mit ihm verblasste die Erinnerung an prominente Anwohner*innen, herausragende Kunstsammlungen und kreative Leistungen.
Mit der aktuellen Präsentation richtet die Kunstbibliothek den Blick auch auf die Zukunft des Kulturforums. Im Neubau „berlin modern“ wird sie künftig mit einer Ausstellungsplattform für ihre Sammlungen zu Grafikdesign, Architektur, Design, Fotografie, Buch- und Medienkunst vertreten sein. Die Geschichte des Tiergartenviertels als einem Hotspot der europäischen Moderne soll in dieser neuen Dependance eine zentrale Rolle spielen.
- Das Projekt „Kunstgeschichte(n) des Tiergartenviertels“ wurde 2022/23 gefördert durch Die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).
- Wissenschaftliches Team: Dr. Gesa Kessemeier, Dr. Joachim Brand
- Eine Sonderausstellung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin
Zusätzliche Informationen
Öffnungszeiten
- Montag bis Freitag: 9 bis 20 Uhr
- Samstag und Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Informationen zur Barrierefreiheit
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