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Die letzten Wochen und Monate verleihen diesem Programm eine bedenkliche Brisanz. Also ganz im Sinne Friedrich Hollaenders: Höchste Eisenbahn!


„Ben Zimmermann greift tief in die Schatztruhe der Kabarettchansons der 1920er und 30er-Jahre und bringt Juwelen zum Klingen und Swingen, die bisher im Verborgenen blieben.

Durch seine clevere Schöpfung der »Doku-Revue«, wie er seinen Abend nennt, bettet er die Chansons charmant in ihren zeitlichen Kontext (...) Zimmermanns musikalische Zeitreise ist ein Glücksfall. Seine Frische und unbändige Spielfreude bringen die kleinen, ausgeklügelten Kunstwerke von damals wieder zum Glänzen.“

Damit steht er ganz im Geiste Friedrich Hollaenders – sogar auf mehrfacher Ebene. Angefangen beim Titel »Höchste Eisenbahn«, der die Richtung angibt: Hollaender und das Kabarett der Weimarer Republik. »Höchste Eisenbahn« hieß nämlich Hollaenders letzte Revue, die er 1932 auf die Bühne seines Tingel-Tangel- Theaters brachte. Wenig später drängte das, was in der Luft lag, ihn zur Umsetzung: Er musste schnellstmöglich aus Berlin fort und rettete sich in den nächsten Zug.

Auch Hollaenders Arbeiten waren nicht bloß Revuen, sondern »Kabarettrevuen«, ein Begriff, den er selbst prägte. Dieser weist auf ihren geistreichen, gesellschaftskritischen Anspruch hin, der stets mit Vergnügen gepaart war. Im Rausch der Revuen der Weimarer Jahre war es ratsam, sich zu positionieren. Zimmermanns Revue ist ebenfalls intelligente Unterhaltung par excellence, die sich nahtlos in den Reigen des Genres einreiht. Zudem bleibt Zimmermann dem Wesen dieses Kabaretts treu und lässt Zeitkritik Streifzug durch das unbekannte Kabarett »Höchste Eisenbahn – eine Doku-Revue« in der Berliner WABE durchscheinen.

So wählt er Chansons, die den historischen Bogen der damaligen Zeit humorvoll und nachdenklich reflektieren, aber auch unsere eigene Zeit im Blick haben.


Dabei bilden er und Pianist Mark McNeill ein gut aufeinander abgestimmtes Team. Die Reise beginnt mit Hollaenders Titelsong, in dem es heißt: »Denn keiner weiß, was morgen wird gescheh’n / und niemand kann die nächste Stunde seh’n. / Schon übermorgen kann sich alles dreh’n!« sowie »Gibt es noch immer Militärmusik? Immer noch den verfluchten Traum vom Krieg?« Dann geht’s zu den Anfängen der Weimarer Republik samt Tumulten der Novemberrevolution und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg mit Hollaenders ›Fox Macabre‹ und ›Der Graben‹ von Kurt Tucholsky und Hanns Eisler. Dazwischen Heiteres wie ›Dada‹ von Fritz Löhner-Beda und Karl Hajos – nicht nur eine herrliche Wiederentdeckung, sondern auch kunstvoll vorgetragen.

Spielerisch wird der Wechsel zwischen befremdlich-gebrochenen und melodisch- mitreißenden Rhythmen beeindruckend umgesetzt. Spaß gibt’s auch mit Curt Brys ›Die Sensation im Zoologischen Garten‹. Bry ist hier eine ganz besondere Ausgrabung. Im Kabarett Die Katakombe brillierte er in den 30er Jahren mit tagesaktuellen Liedern, die er komponierte und textete. Die Nazis zwangen ihn zur Emigration. Wie viele andere musste er sein Kabarett-Metier zurücklassen, überlebte jedoch in Amerika. Es ist Zimmermanns Verdienst, ihm wieder eine Stimme gegeben zu haben.

Dankbar ist man auch für ein paar Verse von Mascha Kaléko, deren geniale Gedichte meist unbeachtet in Büchern schlummern. Allerdings wäre hier eine klarere Trennung wünschenswert, denn die drei Gedichte, in einer Vertonung von Rainer Bielfeldt, scheinen zu einem Lied zu verschmelzen. Nach ihren ersten Erfolgen in Berlin, musste Kaléko sich in Amerika ebenfalls in einem Emigrantenleben zurechtfinden. Entsprechend skizzieren die folgenden Lieder Erfahrungen im Exil, darunter eines von Robert Gilbert und Hanns Eisler. Wer hätte gedacht, dass ihre Sehnsucht nach der Heimat so groß war, dass sie den ›Gruß an die Mark Brandenburg‹ schrieben? Besonders eindringlich ist Hollaenders ›Das Berg-und-Talbahn-Gefühl‹, in dem auf ›Reisen‹ die Angst als blinder Passagier stets mitfährt.

Zimmermanns musikalische Zeitreise ist ein Glücksfall. Seine Frische und unbändige Spielfreude bringen die kleinen, ausgeklügelten Kunstwerke von damals wieder zum Glänzen.

(Sabine Schereck, blickpunkt musical 04/2022)


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