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Verhüllter Reichstag in Berlin: die Freiheit der Kunst

Ein steinerner Koloss wird eingepackt

Zähes Ringen um ein künstlerisches Projekt  

Wer in diesen kalten Januartagen in der kulturellen Mitte von Berlin am Reichstag vorbeischlendert, sieht ein monumentales graues Gebäude mit einer riesigen hochmodernen Kuppel aus Glas. Heute kaum noch vorstellbar, dass der historische Reichstag vor mehr als 25 Jahren für 14 Tage komplett verschwand – unter silbrig schimmernden Stoffbahnen.

17. Juni 1995, sechs Uhr morgens: Neugierig schauen Berlinerinnen und Berliner am Reichstag empor. Hoch auf dem Gebäude stehen Christo und Jeanne-Claude, das weltbekannte Künstlerpaar. Die Arbeit geht los: Für zwei Wochen wird der marode Monumentalbau Stück für Stück unter 109.400 Quadratmetern Stoff verschwinden.
Die enorme künstlerische Freiheit, die sich Christo und Jeanne Claude in Berlin herausnehmen, ist mühsam erkämpft. Seit mehr als zwanzig Jahren schon bemühen sie sich um die Realisierung des Projektes „Verhüllter Reichstag“. Sie haben zahlreiche Anträge gestellt, haben versucht, führende deutsche Politiker zu überzeugen – erfolglos. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer weht ein günstigerer Wind: Nach zähem Ringen mit Entscheidungsträgern und etlichen Einzelgesprächen mit Bundestagsabgeordneten kommt es am 25. Februar 1994 zu einer Abstimmung im Bundestag: Zum ersten Mal in der Geschichte beschäftigt der Streit über ein Kunstwerk sogar das Parlament. Nach einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung erzielen schließlich die Befürworter des Projektes eine deutliche Mehrheit - und der Weg ist frei.
Christo erklärt, dass der Kampf um die Realisierung von Kunst Teil der Kunst selbst ist. „Es macht die Seele des Werkes aus“ *.

Geschichte einpacken und Neues machen

Wrapped Reichstag – was für ein Projekt!

Im Sommer 1995 steht der Koloss aus wilhelminischer Zeit so richtig „zwischen den Zeiten“: Schwer trägt er an seiner Vergangenheit, wurde in einer Bundestagsdebatte sogar als „steinernes Zeugnis deutschen Schicksals“ bezeichnet.

Seine Zukunft sieht nach dem Mauerfall ganz anders aus: In wenigen Jahren soll hier der neue deutsche Bundestag einziehen, ab Herbst schon soll der Umbau zum modernisierten, gläsern überkuppelten Reichstag beginnen, Symbol der Demokratie und eines europäischen denkenden Deutschlands.

Der Reichstag in Berlin
Der Reichstag in Berlin © Getty Images, Foto: Nikada

In den Sommerwochen vor dem Umbau wird der Reichstag samt seiner Geschichte von Christo und Jeanne-Claude kurz verhüllt, danach überlassen sie den Bau tiefgreifenden Umbaumaßnahmen für eine neue Ära.

Ein Gletscher? Ein Silberberg?

Rund 200 Tonnen Stahl verankern die Stoffbahnen am Boden, das Ganze wird paketgerecht mit einem 15.600 Metern blauem Seil verschnürt. Wie funktioniert so etwas? Kräne? Gerüste? Nichts davon: Christo und Jeanne Claude verpacken nur mit menschlicher Hilfe – in diesem Fall mit der Unterstützung von 90 professionellen Kletterern.
Zwischen dem 24. Juni und dem 7.Juli 1995 stehen insgesamt rund fünf Millionen Besucher staunend vor den hohen silbrigen Stoffbahnen, in denen der Wind spielt und die die Himmelsfarben reflektieren. Ein Gletscher? Ein Silberberg? Ein großartiger Anblick, eine unvergessliche Stimmung zwischen den Menschen.

Die referenzierte Medienquelle fehlt und muss neu eingebettet werden.

Kommerzialisierung: Fehlanzeige

15 Millionen Dollar kostet die Verhüllung des Reichstages – es gibt keine Sponsoren, keine Subventionen. Die Tenöre Pavarotti, Domingo und Carreras möchten vor dem verhüllten Reichstag singen, die Berliner Philharmoniker und Claudio Abbado möchten Fidelio vor dem Reichstag spielen – keine Chance. **
Christo und Jeanne-Claude haben bereits in den 1960er Jahren ein Unternehmen gegründet, das ihre Kunst kauft und verkauft, das ihre Projekte realisiert.


Christo sagt: „Niemand kann diese Projekte kaufen, niemand sie besitzen, niemand kommerzialisieren, niemand kann Eintritt für ihre Besichtigung verlangen – nicht einmal uns gehören diese Werke. Unser Werk handelt von Freiheit, und Freiheit ist der Feind allen Besitzanspruchs, und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauer. Darum kann das Werk nicht dauern.“***

Und so ist auch der verhüllte Reichstag nicht von Dauer. Es bleibt nichts, alle Materialien werden abgebaut und recycelt. Einzig bleibt die Erinnerung.

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•    *https://www.stern.de/kultur/kunst/christo--der-verhuellungskuenstler-zieht-im-stern-interview-bilanz-8672832.html
•    ** https://sz-magazin.sueddeutsche.de/kunst/interview-christo-kuenstler-80864
•    *** Jacob Baal-Teshuva: Christo und Jeanne-Claude. Taschen, Köln 2001, ISBN 3-8228-6015-8, S. 82.