
Täglich steigen in Berlin Millionen Menschen aus. Sie steigen aus Bussen, Bahnen und Trams, wollen zur Arbeit, Einkaufen oder die Kinder aus der Kita abholen. Dabei haben sie nur ihr Ziel im Blick und verlieren Berlin aus den Augen. Wir wollen das in unserer neuen Blog-Serie anders machen. Ja zum Aussteigen, nein zur Stadtblindheit. Auch wir steigen aus, an Haltestellen die weniger bekannt sind, aber deren Umgebung Berlinern und Gästen der Stadt eine Menge bietet. Und wir schauen extra genau hin, fassen an, probieren aus, geben uns, mit anderen Worten, die volle Ladung Berlin!
Onkels Tom Hütte
Den Anfang macht die Haltestelle mit dem literarischen Namen Onkel Toms Hütte... Natürlich nicht. Natürlich stehen wir nicht vor einer alten Sklaven-Hütte als wir aussteigen. Im Angesicht des U-Bahnhofs erscheint mir das Gefühl, das mich seit dem Nollendorfplatz begleitete, lächerlich. 13 Stationen, 22 Minuten, Zehlendorf – wir sind immer noch in Berlin. Keine Baumwollplantagen und kein feucht-schwüles Südstaatenklima. Aber doch anders. Allein der denkmalgeschützte Bahnhof wirkt mit seinen gelben Siegersdorfer Keramik-Riemchen, Vorhallen und dem gläsernen Dach ungewöhnlich. Die parallel zu den Gleisen verlaufenden Ladenzeilen rechts und links sehen aus wie zwei kleine Shoppingmalls, die anstelle eines dritten und vierten Gleises errichtet worden wären. Wir schauen uns begeistert um während wir die niedrige Rampe hinauf aus der Station treten. Und dann? Staunen. Vor uns stehen ganze Reihen beeindruckend bunter Häuser umringt von Birken und Kiefern. Wir gehen die Riemeisterstraße entlang und können uns nicht zurück halten, den weichen grünen Boden mit den vielen großen Bäumen zu betreten. Unter ihnen wandelnd, lassen wir uns vom Flair der Villa Kunterbunts einnehmen, die in den kleinen Straßen mit Namen wie Am Wieselbau, Hochsitzweg oder Fuchspaß eng beieinander stehen.
Die Siedlung
Über die Onkel-Tom-Straße und Argentinische Allee schlagen wir den Bogen zurück zur Station. Das Gesehene hat mich an einem sensiblen Punkt erwischt: meiner Neugierde. Mein Wissensdurst ist so groß, dass ich den älteren Herrn hinter der Theke der ansässigen Bäckerei spontan befrage. Uns wird bereitwillig Auskunft gegeben und bei Kaffee und Gebäck könnte ich den Geschichten über den Zehlendorfer Dächerkrieg, die Namensgebung der U-Bahnhaltestelle und aus dem heutigen Onkel-Tom-Kiez den ganzen Nachmittag lauschen. Aber dazu bleibt keine Zeit. Nur so viel sei noch verraten: Die Onkel-Tom-Siedlung, auch unter dem Namen Papageiensiedlung bekannt, geht auf den Architekten Bruno Taut zurück. Mit fast 2.000 Wohnungen galt die Waldsiedlung schon zu ihrer Entstehungszeit (1926 – 1932) als eines der größten sozialen Wohnungsbauprojekte. Taut ließ sich von dem naturnahen Terrain inspirieren und entwickelte ein Stadtmodell fernab dunkler Hinterhöfe und Mietskasernen, das sowohl dem Naturraum als auch der Siedlungsstruktur gerecht wurde. Eigentlich ein Rätsel, weshalb dieses Bullerbü Berlins es neben den sechs anderen Siedlungen der Moderne nicht auf die Welterbe-Liste der UNESCO geschafft hat. Fazit: Bis nach Kentucky fährt die U3 zwar nicht, aber bis ins Småland meiner Kinderbücher durchaus.