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Großsiedlung Siemensstadt - Panzerkreuzer -
'Panzerkreuzer' Bau von Hans Scharoun in der Siemensstadt © Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Großsiedlung Siemensstadt

UNESCO-Welterbe und Vorbild für modernen Städtebau

Bei einem Spaziergang durch die Großsiedlung Siemensstadt können Sie die Bauten der klassischen Moderne direkt miteinander vergleichen - jeder der berühmten Architekten hinterließ hier seine persönliche Handschrift.

Ende der 1920er Jahre beauftragt der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner sechs Architekten damit, in Charlottenburg-Nord und Spandau eine neue Siedlung zu bauen. Sie sollen damit bezahlbaren Wohnraum für Angestellte der nahe gelegenen Siemens-Werke schaffen. Insgesamt entstehen zwischen 1929 und 1934 in der Siedlung 1.379 Wohnungen mit jeweils zwei oder zweieinhalb Zimmern.

Von den sechs Architekten gehören vier der fortschrittlichen Gruppe Der Ring an: Walter Gropius, Hans Scharoun, Otto Bartning und Hugo Häring. Deshalb heißt die Großsiedlung Siemensstadt heute auch Ringsiedlung. Neben den vier Ring-Mitgliedern entwerfen auch die beiden Architekten Fred Forbát und Paul Rudolf Henning Bauten für die Siedlung.

Bruch mit herkömmlicher Bauweise

Die wichtigste Maxime dieser Gruppe ist es, andere architektonische und städtebauliche Lösungen als die der Gründerzeit zu finden. Keine Blockrandbebauung mit dunklen Hinterhöfen mehr, wie sie sonst in Berlin vorherrscht. Die Bauten sollen allen Mieter:innen gleiche Bedingungen bieten: gleich groß, gleich viel Lichteinfall, die Möglichkeit, Luft und Sonne zu tanken.

Früh einigen sich die sechs Architekten darauf, die Siedlung ausschließlich in Zeilenbauweise zu gestalten. Das Grundprinzip dieser Bauweise: in Nord-Süd-Richtung gebaute schmale Häuser, die quer zu den Verkehrsstraßen angeordnet sind. Ziel ist es, den Lichteinfall in die Wohnungen zu optimieren und gleichzeitig die Lärmbelastung der Bewohner:innen zu minimieren.

Auf gute Nachbarschaft

Hans Scharoun ist für die städtebauliche Gesamtplanung der Ringsiedlung zuständig. Er stellt sich einen für Berlin ganz neuen Siedlungstyp vor, in dem er seine Idee von „Nachbarschaft“ verwirklichen kann. Scharoun selbst sagt im Jahr 1927 über seine Gestaltung der Großsiedlung Siemensstadt:

Nachbarschaft ist eine geistige Energie – eine Qualität, nicht nur eine Quantität. Sie ist ein Raum, den ein Fußgänger in etwa einer Viertelstunde durchquert, ein Raum, der der Erlebnisfreudigkeit des Kindes entspricht, groß genug, um Abenteuer darin anzusiedeln, klein genug, um das Gefühl der Heimat aufkommen zu lassen.“

Konkret hieß das: Scharoun verfolgt die Idee einer aufgelockerten Stadt, mit vielen Freiflächen. Dort sollen die Bewohner Erholung finden, ihre Kinder spielen lassen, Gemeinschaft erleben und sich zwischen den rahmenden Bauten aufgehoben fühlen.

Heute können Sie seinen Leitgedanken vor allem in den vom Landschaftsarchitekten Leberecht Migge gestalteten Grünflächen der Siedlung nachspüren. Der zentral gelegene Park schafft eine Verbindung zwischen den Häusern und lädt gleichzeitig zum Verweilen ein.

Großsiedlung Siemensstadt - Goebelstraße 1/9
© Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Sechs eigene Signaturen

Bei einem Gang durch die Großsiedlung Siemensstadt lohnt es sich, auf die Details zu achten. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie feststellen, dass jeder der sechs Architekten seinem Zeilenbau eine eigene Handschrift verliehen hat.

  • Jeder Besuch der Siedlung beginnt mit Hans Scharouns‘ Entwurf. Wie ein Trichter formen seine Bauten am Jungfernheideweg den Eingang zur Großsiedlung Siemensstadt. Beim Betrachten der Gebäude wird Ihnen auffallen, dass Scharoun hier einige Elemente aus der Schiffsarchitektur entliehen hat: kreisförmige Fenster, die an Bullaugen erinnern, Höhenunterschiede wie bei den Decks an Bord. Im Volksmund hieß das Gebäude dann auch schnell „Panzerkreuzer“. In der Großsiedlung Siemensstadt demonstriert Scharoun sein besonderes Talent, ungewöhnliche Formen harmonisch miteinander zu verbinden. Er selbst lebte bis 1960 in einer der Wohnungen.
  • Am westlichen Rand der Großsiedlung Siemensstadt finden Sie ein Gebäude, das ganz anderen ästhetischen Prinzipien folgt als der „Panzerkreuzer“: Walter Gropius' funktionalistischer, im Vergleich zu Scharoun streng und beinahe kühl wirkender Entwurf. Die einzige Auflockerung der weißen Fassaden entsteht durch die dunkelgraue Farbgebung der Fenster. Neue Sachlichkeit in Reinform.
  • Otto Bartnings 338 Meter langer Gebäuderiegel am südlichen Rand der Großsiedlung Siemensstadt ist nicht in Nord-Süd-Richtung gebaut, sondern in Ost-West-Richtung. Das Grundstück, das er zugewiesen bekommt, lässt es nicht anders zu. Er muss alternative Möglichkeiten für die Optimierung des Lichteinfalls finden. Bartning löst das Problem durch die Raumanordnung: Schlaf- und Wohnzimmer liegen zur sonnigen Südseite hin, Küche und Bad befinden sich dagegen auf der Nordseite. Die schmucklose, homogene Fassade des Gebäudes kommt nicht bei allen gut an: Bei den Berlinern heißt sie der „lange Jammer“.
  • Die Bedeutung der Farbgebung kommt bei den Bauten von Hugo Häring besonders schön zum Ausdruck. Er verwendet Baumaterial in warmen Braun- und Ockertönen, die mit der grünen Bepflanzung des Parks harmonieren. Das auffälligste Merkmal seines Entwurfs: die nierenförmigen Balkone. Sie sind Ausdruck von Härings Verständnis des organischen Funktionalismus. In seiner Architektur erwachsen die Formen der Gebäudeteile aus der Funktion, die sie erfüllen sollen. Durch den ungewöhnlichen Grundriss der Balkone kann Häring die Fläche maximal ausweiten. Und gleichzeitig den Schattenwurf für das darunter liegende Stockwerk minimieren.
  • Auch die Bauten Fred Forbáts und Paul Rudolf Hennings tragen eine ganz eigene Handschrift. Mit Terrassen für seine Erdgeschosswohnungen legt Henning den Fokus auf Erholung an der frischen Luft. Forbát gestaltet seine Fassaden klar und geometrisch, lockert sie aber durch Ziegelwände an den Treppenhäusern auf.

Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg

Im zweiten Weltkrieg erleiden manche der Gebäude in der Großsiedlung Siemensstadt schwere Schäden. Dies verändert aber nicht den ästhetischen Gesamteindruck der Siedlung. In den 1950er Jahren kommen einige neue Bauten hinzu: Hans Scharoun ergänzt seine Gebäude im Jungfernheideweg um einen dritten Bau. Otto Bartning erweitert 1955 bis 1956 seinen „langen Jammer“ um die heutigen Hausnummern Goebelstraße 11–19. Das Haus Goebelstraße 1–9, das Hans Scharoun zur selben Zeit entwirft, bildet einen interessanten Kontrast zum Stil der restlichen Siedlung. Mit pinkfarbenen Laubengängen und knallig gestrichenen Türen in Gelb, Rot oder Blau hebt es sich stark von den sachlichen Bauten der 1920er Jahre ab.

Welterbe und zeitgemäßes Lebensumfeld

Seit 2008 gehört die Großsiedlung Siemensstadt mit fünf weiteren Siedlungen zum UNESCO-Welterbe. Zu den anderen Siedlungen zählen beispielsweise die Hufeisensiedlung und die Weiße Stadt.

Eines haben die äußerlich so unterschiedlichen Entwürfe der Großsiedlung Siemensstadt gemeinsam: Sie sind das Ergebnis eines intensiven Denkprozesses. Den sechs Architekten der Großsiedlung Siemensstadt ging es um nicht weniger als das optimale, zeitgemäße Lebensumfeld für den modernen Menschen. Damit nahmen sie in mancher Hinsicht bereits Städtebau-Entwürfe der Nachkriegszeit vorweg.

Industriekultur, noch mehr Siedlungen, noch mehr Moderne

Wer in Berlin über den Siedlungswohnungsbau der Berliner Moderne spricht, muss auch über industrielles Erbe sprechen. Vieles davon bietet die Siemensstadt und Spandau an:

  • Dynamowerk der Siemens AG (1906)
    von Karl Janisch und Carl Dihlmann am Nonnendamm 62–79
  • Wernerwerk II (1914–22)
    von Karl Janisch und Hans Hertlein am Wernerwerkdamm
  • Schaltwerk-Hochhaus der Siemens AG (1917)
    von Hans Hertlein, Nonnendamm 104–110
  • Reichsforschungssiedlung Haselhorst (1931/32)
    von Fred Forbát, Paul Emmerich und Paul Mebes, Gartenfelder Straße
  • Gartenstadt Staaken (1914–17)
    von Paul Schmitthenner, Am Heideberg
Großsiedlung Siemensstadt - Goebelstraße 1/9
© Landesdenkmalamt Berlin, Foto: Wolfgang Bittner

Unsere Tipps rund um die Siedlung Siemensstadt

Besuchen Sie die Bastionen der Zitadelle Berlin, im Sommer das Citadel Music Festival oder auch die Altstadt Spandau. An schönen Tag lädt die Havel zu einer Bootsfahrt ein. Ein Abfahrtpunkt befindet sich an der Schleuse Spandau nahe der Altstadt Spandau.

Umfassende Informationen zu den Bauten der Berliner Moderne und ihrer Geschichte finden Sie auf unserer Webseite:

Zur Architektur der Berliner Moderne

Grand Tour der Moderne

Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 entwickelte der Bauhausverbund eine Grand Tour der Moderne, die Architekturfans durch ganz Deutschland führt. Die Siedlung Siemensstadt ist Bestandteil dieser Themenroute.

Die weiteren Berliner Standorte als Grand Tour der Berliner Moderne:

Grand Tour der Berliner Moderne

Praktische Infos von visitBerlin

Das Welterbe Siemensstadt erreichen Sie am einfachsten mit der U-Bahnlinie U7, Ausstieg an der gleichnamigen Station. Für den öffentlichen Nahverkehr nutzen Sie die Berlin Welcome Card.
Sie können die Siemensstadt auch mit dem Fahrrad erkunden, das Sie nach Lösen eines Fahrradtickets in der U-Bahn mitnehmen dürfen. Die Berlin Welcome Card bietet auch Rabattangebote von Fahrverleih-Anbietern.

Eine Bitte in eigener Sache

Die Siemensstadt ist ein ausgewiesenes Flächendenkmal. Gleichzeitig ist sie aber auch das Zuhause vieler Menschen, die hier wohnen und arbeiten. Diese pflegen das Denkmal und helfen, die Erinnerung zu bewahren.
Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Besichtigung. Vielen Dank!